Die Regierung wollte mit De-Mail eine sichere elektronische Behördenpost etablieren. Doch nach zehn Jahren und Hunderten Millionen Euro Verlust steigt die Telekom nun aus. Dies muss aber noch nicht das Ende des Projekts bedeuten.
So bekommen aktuell viele Unternehmen und Behörden Post von der Deutschen Telekom. Darin wird angekündigt, dass der Dienst De-Mail in genau einem Jahr von dem Bonner Unternehmen abgeschaltet werden soll. Zur Sicherheit werden die Kündigungen von der Telekom nicht nur über E-Mail sondern auch per Briefpost verschickt. Das zeigt das Dilemma des Angebots: Viele Postfächer des einst als besonders sicher beworbenen E-Mail-Dienstes sind wohl schon lange nur noch tote Briefkästen.
Der Dienst war von der Bundesregierung vor zehn Jahren per Gesetz eingeführt worden. Das neue, staatlich angeschobene Mailsystem sollte einen „sicheren, vertraulichen und nachweisbaren Geschäftsverkehr für Jedermann im Internet sicherstellen“. Jedoch gab es für diesen Dienst nie genug Anwender und Kunden, und das, obwohl De-Mail für Privatnutzer bei der Telekom kostenlos war und das Unternehmen diesen Dienst anfangs stark beworben hatte: „Ihr Leben wird bald einfacher“, hieß es damals. Behördengänge und Wartezeiten könne man sich bald ersparen, sensible Unterlagen und Verträge bequem von zu Hause verschicken.
Doch das Angebot konnte sich nie richtig durchsetzen. Allein die Telekom verzeichnete insgesamt Verluste in dreistelliger Millionenhöhe. Man habe sich „strategisch entschieden, den De-Mail-Dienst aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit nur noch bis Ende August 2022 anzubieten“, heißt es in dem Kündigungsschreiben an die Geschäftskunden. Im September will man dann auch die Privatkunden vom bevorstehenden Ende des Angebots informieren.
Obwohl das eigens erlassene „De-Mail-Gesetz“ Behörden dazu verpflichtete, Zugänge dafür einzurichten, ließen sich viele dafür reichlich Zeit. Außerdem gab es zu wenig konkrete Anwendungen, weswegen der Dienst auch für Privatnutzer nicht attraktiv war.
Auch gab es schon zu Beginn kritische Stimmen. Mitglieder des Chaos Computer Clubs äußerten kurz nach dem Start massive Zweifel an der Sicherheit und dem Datenschutz. Sie bezeichneten die Lösung als „Bullshit made in Germany“.
Ein weiterer digitalpolitischer Fehlschlag
Das Ausmaß der Probleme zeigte sich auch in der Intransparenz, die das öffentlich angeschobene Projekt seit Jahren umgab. So wurden von keinem der Partner die tatsächlichen Nutzerzahlen veröffentlicht, das Ministerium und die beteiligten Unternehmen versuchten sich auf einer gemeinsamen Website in Krisen-PR und traten angeblichen Mythen über den Dienst entgegen. So heißt es dort unter dem Punkt „De-Mail nutzt doch niemand“, es gebe „mehr als eine Million Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Vermutung liegt nahe, dass die Zahl der aktiven Nutzer deutlich darunter liegt. Die Zahl der bei der Telekom registrierten Benutzer war zuletzt offenbar sechsstellig, die der Geschäftskunden lag im fünfstelligen Bereich.
Telekom-Chef Tim Höttges hatte bereits Anfang des Jahres in einem Interview mit dem „überkomplizierten“ Dienst abgerechnet. Es habe „nie jemanden gegeben, der dieses Produkt genutzt hat“, schimpfte er damals. Doch die Entscheidung, aus De-Mail auszusteigen, sei erst in diesem Sommer gefallen, wie es in Unternehmenskreisen hieß. Hintergrund war dabei offenbar ein auslaufender Rahmenvertrag mit dem Bundesinnenministerium.
Für die Bundesregierung ist der Abschied der Telekom ein Schlag – schließlich ist der Bund über die KfW an dem Bonner Konzern beteiligt. Das Scheitern des Dienstes bedeutet damit einen weiteren digitalpolitischen Fehlschlag.
Erste Entwarnung für das staatliche E-Government, da GMX erwägt, Telekom-Kunden zu übernehmen
In den vergangenen Monaten hatte es offenbar Verhandlungen über eine finanzielle Unterstützung für das hochdefizitäre Angebot gegeben. Jedoch führten diese aus Sicht des Unternehmens zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.
Allerdings ist die Deutsche Telekom nicht der einzige De-Mail-Anbieter auf dem Markt, die Entscheidung über die Einstellung des Dienstes muss daher nicht das offizielle Ende des Projekts bedeuten. So bieten auch die United Internet AG (1&1, GMX, web.de) und die Mentana Claimsoft GmbH gegenwärtig De-Mail an. Es gab wohl im Vorfeld auch Verhandlungen zwischen der Telekom und den Mitbewerbern hinsichtlich einer möglichen Übernahme des Telekom-Kundenstamms.
Doch es gibt auch eine erste Entwarnung für das staatliche E-Government. Denn Jan Oetjen, der Geschäftsführer von WEB.de und GMX, bestätigte, dass man im Gespräch sei und Optionen prüfe, den bisherigen Telekom-Kunden Angebote für eine „unterbrechungsfreie Fortführung ihrer De-Mail-Konten zu machen“. Wichtig dafür seien allerdings „die weitere Staatliche Unterstützung sowie die Ausweitung der Nutzung“. Oetjen führt als Beispiel die zahllosen immer noch per Post zugestellten Behördenbriefe an, die einen großen Anteil am jährlichen Briefvolumen hätten. Auch im Bereich der digitalen Identifikation sehe er „großes Potenzial“. So könne der Dienst auch die Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes vereinfachen. Den Bürgern wird darin seitens der Bundesregierung versprochen, dass sie bis Ende 2022 ihre wichtigsten Verwaltungsleistungen auch online anbietet. „Damit muss nicht jede Kommune und jedes Land neue, eigene Login-Verfahren für ihre Onlineservices aufbauen“, so Oetjen.
Sollte jedoch die geplante Kundenübernahme scheitern oder die Betroffenen nicht zu anderen Anbietern wechseln wollen, müssen Nutzerinnen und Nutzer der Telekom-Angebote spätestens im kommenden Sommer aktiv werden und Sicherungskopien von ihren De-Mails machen. Sie hätten nach dem erzwungenen Vertragsende noch drei Monate Zeit, um die in ihren Postfächern gespeicherten Nachrichten zu übertragen, heißt es in dem Kündigungsschreiben. Danach werden sämtliche Kundendaten unwiederbringlich gelöscht.