Große und kleine Einzelhändler kämpfen deutschlandweit ums Überleben. Die Existenzangst zwingt sie, neue Wege zu gehen. Online-Shops statt Einkaufen im Laden – ist das für die Einzelhändler umsetzbar?
Es geht darum, schnell neue Lösungen zu finden. Doch lassen sich Online-Handel und persönliche Beratung irgendwie miteinander verbinden?
Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Video der Reihe „Gewinner oder Verlierer? Stadt im Wandel“ – verfügbar in der Mediathek des Bayrischen Rundfunks (BR). Der Beitrag kann über diesen Link angesehen werden.
Finanzielle Einbußen durch die Corona-Pandemie
Personalberaterin Sophia von Rundstedt meint: „Ich glaube nicht, dass ein kleiner Einzelhändler gegen eine große Kette, die einen riesen Web-Shop hat und ein riesen Budget hat, dagegen ankommen kann.“ Das dürfe auch nicht der Weg sein.
Der letzte Corona-Winter hat dabei nicht nur dem Einzelhandel, sondern auch der Gastronomie stark zugesetzt. So ist laut der Statistikplattform destatis der Umsatz in der Branche um 47,1 %, die Zahl der Beschäftigten um 19,2 % zurückgegangen.
Laut dem Einzelhandelsverband beklagten sich rund 80 % der in dieser Branche tätigen Gewerbetreibenden über Einbußen – während die Umsätze im Online-Handel in letzter Zeit immer mehr in die Höhe schnellten. So wurde dort ein Plus von 32 % gegenüber 2019 vermeldet.
Stockende Entwicklung
Ein Fachgeschäft für Mountainbike-Bedarf im bayerischen Samerberg war im Zeitraum von März 2020 bis Mai 2021 an insgesamt 141 Tagen geschlossen. Inhaber Peter Brodschelm habe nach eigener Aussage deshalb schon anfangen müssen, von seinem Ersparten – also als Selbstständiger von seiner Rente – zu leben. Zwar habe man bereits angefangen, Sachen übers Internet zu verkaufen, aber die Entwicklung gehe sehr stockend voran, weil das ganze Gebiet des E-Commerce sehr komplex sei. Ein normaler Einzelhändler, der keine Ahnung vom Internet-Geschäft hat, habe keine Chance, einen Online-Shop aus dem Stand zu betreiben, so Brodschelm.
„Der Einzelhandel steht unter unglaublichem Veränderungsdruck.“
Diese Ansicht vertritt die Personalberaterin Sophia von Rundstedt. Demnach dauere dieser Prozess noch ein paar Jahre. „Im Moment sieht man erschreckend viele Einzelhandelsgeschäfte, die schließen müssen. Das macht einem schon Angst.“ Ökonom Hennig Vöpel weiß, wie die Wandlung erfolgreich sein kann: „Das entscheidende ist, dass man auffindbar ist und dass man irgendetwas hat, was einen unterscheidbar macht.“ Man müsse eine Beziehung zu den Kunden herstellen, so Vöpel.
„Das bin nicht ich.“
Doch wie leicht können sich die Einzelhändler verändern? Der Wechsel hin zum Anbieten der eigenen Waren über das Internet wird insbesondere solchen Inhabern schwerfallen, die viel Wert auf ein familiäres Ambiente in ihrem Laden legen, denen der persönliche Kontakt mit den Kunden wichtig ist. Denn auch eine persönliche Beratung gestaltet sich „face to face“ leichter als online.
Dabei werde Digitalisierung allerdings nicht dafür genutzt, um unser Leben zu digitalisieren, sondern um das analoge Leben besser zu machen, so Vöpel: „Digitalisierung ist am Ende nur ein Instrument – und so muss man es auch einsetzen.“
Es kommt auf die richtige Strategie an
Doch die Frage ist dann natürlich, wie dieses Instrument eingesetzt werden sollte und wie nicht. Galeria Kaufhof hat die Zeichen der Zeit erkannt und ebenfalls angefangen, die Produkte auch online anzubieten. Aber mit einer falschen Strategie: Denn der Verkauf wird nicht mit dem Handel in der Filiale verbunden und entwickelt sich so ungewollt fast zu einer Konkurrenz.
Eine gut funktionierende Online-Strategie zu entwickeln und zu verfolgen, ist also echte Detailarbeit. Diese muss zusätzlich zum Tagesgeschäft verrichtet werden – das bedeutet ein Mehr an Belastung für die Händler.
Der umgekehrte Weg
Ausgerechnet Versandriese Amazon hat mittlerweile den Offline-Bereich für sich entdeckt. Die ersten Filialen wurden in den USA bereits eröffnet. Kommen sie in naher Zukunft auch in Deutschland? Wenn ja, wäre das ein weiterer Schlag für die Innenstädte, ist sich Soziologin Sabine Pfeiffer sicher. Der “kleine Einzelhandel“ habe einfach nicht die finanziellen Mittel um da mitzuhalten – dafür bräuchte es Investitionen der öffentlichen Hand.
„Order Local“ – eine Initiative der Stadt Ingolstadt
Die Stadt Ingolstadt hat in diesem Jahr den Web-Shop „Order Local“ ins Leben gerufen. Dort können sich Kunden aus Artikeln von verschiedenen Läden – ähnlich wie in einem Warenhaus – einen Warenkorb zusammenstellen. Dieses Vorhaben wurde seitens der städtischen Wirtschaftsförderung gefördert. Schon kurz nach der Einführung hatte „Order Local“ ca. 100 Teilnehmer aus verschiedenen Branchen des Einzelhandels und der Gastronomie.
Doch nach ungefähr zwei Monaten verlangte die Stadt Ingolstadt Geld und eine Umsatzbeteiligung von den Händlern dafür, dass sie ihre Waren und Dienstleistungen auf der Plattform anbieten dürfen. Das führte dann dazu, dass viele Teilnehmer die Mitgliedschaft aufkündigten – denn sie hätten zahlen müssen, ohne zu wissen, wie viel Absatz sie mit „Order Local“ gehabt hätten.
Über die „Königslösung“, wie sich der Einzelhandel zukunftsfähig aufstellen kann, herrscht nach wie vor Uneinigkeit. Doch Ökonom Henning Vöpel fordert: „Wenn wir in 20 Jahren eine anders funktionierende Innenstadt haben wollen, dann müssen wir jetzt akzeptieren, dass vieles Altes ausläuft und kaputt geht – und beginnen, Neues aufzubauen.“