In immer mehr öffentlichen Verwaltungen leiden die Beschäftigten an Langzeiterkrankungen und fallen dementsprechend lange aus. Wie es sich in diesem Fall mit dem Verfall des Urlaubs verhält, darüber hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden.
Der Kläger war seit dem 01.11.1989 bei der Beklagten tätig. Der TVöD-V fand auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Er war seit dem 18.01.20216 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, welches durch Aufhebungsvertrag mit Ablauf des 28.02.2019 endete, durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Der Kläger klagte auf Abgeltung von 30 Arbeitstagen Urlaub aus dem Jahr 2016. In seiner Begründung brachte er vor, dass sein Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2016 trotz der durchgehenden krankheitsbedingten Fehlzeit nicht nach 15 Monaten mit Ablauf des 31.03.2018 erloschen sei, weil die Beklagte ihn nicht durch Erfüllung ihrer Mitwirkungsobliegenheiten in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich wahrzunehmen.
BAG: Arbeitgeber muss Möglichkeit haben, seine Mitwirkungsobliegenheit zu erfüllen
Das Gericht führt zunächst aus, dass der Urlaub nach Ablauf von 15 Monaten erlischt, wenn Beschäftigte seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres arbeitsunfähig gewesen sind. In diesem Fall verjährt der Urlaubsanspruch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist oder nicht.
Demgegenüber kann ein Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub aus einem Bezugszeitraum, in dessen Verlauf der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit arbeitsunfähig geworden sei, bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG grundsätzlich nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig nachgekommen sei.
Der Arbeitgeber habe jedoch das Risiko, dass der Urlaub wegen einer im Urlaubsjahr eintretenden Krankheit nicht erfüllt werden könne, nur zu tragen, soweit er im Urlaubsjahr tatsächlich die Möglichkeit gehabt hatte, seinen Mitwirkungsobliegenheiten auch nachzukommen. Wenn aber die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers so früh im Urlaubsjahr eintritt, dass es dem Arbeitgeber tatsächlich nicht möglich gewesen ist, den Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme des Urlaubs zu veranlassen, so dass der Beschäftigte selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arbeitgeber den Urlaub nicht vollständig habe nehmen können, erlischt der Urlaubsanspruch bei fortdauernder Erkrankung unabhängig von der Mitwirkung des Arbeitgebers mit Ablauf eines Übertragungszeitraums 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres.
Beschäftigte müssen rechtzeitig aufgefordert werden, Urlaub zu nehmen
Für die Frage, ob der Arbeitgeber die Beschäftigten rechtzeitig aufgefordert habe, ihren Urlaub zu nehmen, und ihnen klar mitgeteilt habe, dass der Urlaub mit Anlauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfalle, wenn er nicht beantragt werde, sei auf den Zugang der Erklärung bei den Beschäftigten abzustellen. Zwar müssten die Aufforderung und der Hinweis nicht sofort nach Entstehung des Urlaubsanspruchs erfolgen, sondern entsprechend der Legaldefinition nach § 121 Abs. 1 S. 1 BGB unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern des Arbeitgebers. Die Zeitspanne, die dem Arbeitgeber hierfür einzuräumen sei, orientiere sich am konkreten Einzelfall. Da nach Auffassung des BAG die Berechnung des Urlaubsanspruchs und die Formulierung der Belehrung grds. keine besonderen Schwierigkeiten bereite, sei unter normalen Umständen – wenn keine Besonderheiten, wie z. B. Betriebsferien zu Jahresbeginn – vorliegen, eine Zeitspanne von einer (Urlaus-)Woche, d. h. in Anlehnung an § 3 BUrlG sechs Werktage nach Entstehung des Urlaubsanspruches was nach § 1 BUrlG zu Beginn des Kalenderjahres, d. h. zum 01. Januar, sei, ausreichend.
Mitwirkungsobliegenheiten gelten für gesetzlichen Mindesturlaub und tariflichen Mehrurlaub
Die dargestellten Grundsätze gelten im Hinblick auf die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch für den tariflichen Mehrurlaub. Die Tarifvertragsparteien des TVöD hätten in dieser Hinsicht den tariflichen Mehrurlaub nicht abweichend von den gesetzlichen Vorgaben geregelt.
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 18. Januar
Im vorliegenden Fall erachtete das BAG die Klage als unbegründet, soweit der Kläger die Abgeltung von 25 Arbeitstagen Urlaub verlangte. Aufgrund der am 18.01.2016 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit des Klägers hätten zwischen Montag, dem 04.01.2016, und Freitag, dem 15.01.2016, nur zehn Arbeitstage gelegen, an denen der Urlaubsanspruch hätte erfüllt werden können. Zudem habe die Beklagte ihre Mitwirkungsobliegenheiten nicht vor dem 08.01.2016 erfüllen müssen. Erst nach Ablauf der Frist sei das Risiko, dass Urlaubsansprüche wegen einer Langzeiterkrankung verfielen, auf die Beklagte übergegangen.
Da das BAG jedoch mangels konkreter Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht darüber entscheiden konnte, ob auch die Urlaubsansprüche erloschen waren, die in den fünf Arbeitstagen zwischen dem 08.01.2016 und dem Krankheitsbeginn am 18.01.2016, d. h. im Zeitraum vom 11. bis zum 15.01.2016, hätten erfüllt werden können, wurde der Fall an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (BAG-Urteil vom 31.01.2023, 9 AZR 107/20).