In vielen Innenstädten gibt es seit Jahren das Problem, dass immer mehr Geschäfte zu machen. Diese Entwicklung verschärft sich seit Corona drastisch. In der Mediathek des Bayerischen Rundfunks (BR) ist aktuell eine vierteilige Video-Reihe mit dem Titel „Gewinner oder Verlierer? Stadt im Wandel“ verfügbar (die Video-Reihe kann über diesen Link angesehen werden). Dort wird genau diese Problematik aufgegriffen – konkret untersucht wurde dabei die Innenstadt-Situation im bayerischen Ingolstadt und im sächsischen Chemnitz.
Im Besonderen ging es um das Schicksal von zwei Filialen des Kaufhaus-Konzerns Galeria Kaufhof, aber auch um das von einigen kleineren Einzelhändlern. Laut dem Handelsverband sei jeder zweite Einzelhändler von der Insolvenz bedroht, die staatliche Hilfe nicht ausreichend. So sei der Umsatz in der Bekleidungsbranche etwa im Zeitraum von Dezember 2020 bis März 2021 um 80 – 90 % zurückgegangen.
In dieser Zeit sind viele Einzelhändler dazu übergegangen, ihr privat Erspartes in das Unternehmen zu investieren. Das führte teilweise so weit, dass sie ihre Rentenversicherung sich haben auszahlen lassen, um mit dem Geld ihr Geschäft am Laufen zu halten.
„Es tut in der Seele weh“
Thomas Dieser, der die Interessen von Einzelhändlern vertritt, sagt über die Situation in der Ingolstädter Innenstadt: „Es tut natürlich in der Seele weh, wenn man sieht, dass jeder zweite, dritte Laden leersteht.“ Neben dem seit Jahren leerstehenden „C&A“-Gebäude sei Galeria Karstadt Kaufhof bereits das zweite Geschäft mit einer riesigen Verkaufsfläche, das nicht bewirtschaftet wird. Insgesamt sind aktuell 50 % der Gewerbefläche in Ingolstadt Leerstand.
Die Soziologin Sabine Pfeiffer weist daraufhin, dass Städte häufig nicht so viele Möglichkeiten besäßen, um aktiv dagegen angehen zu können, da die meisten Häuser in einer Fußgängerzone unterschiedlichen Menschen oder großen Immobilienketten gehörten, die meistens nicht sehr offen für derartige Vorschläge seien. Die Einschätzung der Soziologin wird vom Ingolstädter Stadtrat Georg Rosenfeld bestätigt: „Uns war relativ schnell klar, dass wir wenig Möglichkeiten hatten, diese Entscheidung [die Schließung der Kaufhof-Filiale; Anm. d. Verf.] zu beeinflussen.“
Was in Ingolstadt getan wird
Die Pandemie habe den Strukturwandel in den deutschen Städten beschleunigt, meint der Ökonom Henning Vöpel. Es mache demnach keinen Sinn, „die alten Dinosaurier“, sprich die alten Strukturen, gegen den Strukturwandel zu beschützen.
Dass den Städten aber oftmals die Hände gebunden sind, sagt auch der Ingolstädter Oberbürgermeister Christian Scharpf: „Wir können als Stadt nur bedingt was machen – die meisten Immobilien gehören uns gar nicht. Wir tun alles, was wir können, um wieder Belebung in die Innenstadt zu bekommen.“
Ein erster Versuch in diese Richtung wurde dort bereits unternommen: Es wurde eine Initiative mit dem Namen „Runder Tisch Innenstadt“ ins Leben gerufen – wo verschiedene Maßnahmen im Verbund mit den Bürgern diskutiert werden, wie die Innenstadt wieder lebendiger werden kann. Die Beteiligung ist dabei sehr hoch: Laut Rosenfeld seien über 500 Zurufe von Bürgerinnen und Bürgern eingegangen, was gemacht werden könne. Ziel sei es, daraus zwölf Maßnahmen abzuleiten, die zur Reanimation der Innenstadt beitragen könnten.
Ein Blick in die Zukunft
Übrigens konnte die Galeria Karstadt Kaufhof-Filiale in Chemnitz vor der Schließung bewahrt werden – während die Niederlassung in Ingolstadt vor dem unmittelbaren Aus steht.
Je länger die Corona-Pandemie dauert, desto schwieriger wird es natürlich sein, die Anzahl der Leerstände in den deutschen Innenstädten niedrig zu halten. Daher wird es in der Zukunft noch vielmehr auf innovative Lösungsansätze ankommen. Andernfalls droht vielen Fußgängerzonen das gleiche Schicksal wie Ingolstadt: Dass selbst etablierte und große Kaufhäuser irgendwann die Geschäftstätigkeit aufgeben müssen.
Das sagt OptiSo
In Bezug auf den Einzelhandel wird durch Corona starker Innovationsdruck deutlich. Für viele Geschäfte gab es diesen Druck so in der Vergangenheit nicht.
Es fehlen oft unternehmerische Fähigkeiten, einen Store vor Ort in einen Hybridstore fortzuentwickeln. Diese Empfehlung für ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell haben die Fachleute im Einzelhandelsbereich den Unternehmern jedoch bereits längst vor Corona gemacht. Einen Veränderungstreiber gab es jedoch bisher nicht, denn das Geschäft boomte auch ohne entsprechende Change-Maßnahmen.
In Pandemiezeiten zeigte sich nun, dass dem reinen physischen Geschäft durch Einschränkungen im täglichen Leben vielerorts phasenweise die Grundlage entzogen wurde.
Das Pendant: der Onlinehandel – dieser boomt.
Es gilt, die Vorzüge der Beratung und individuellen Note des physischen Stores vor Ort (z.B. bei Kleidung, Dekoration, Geschenken und vielem mehr) mit dem Absatz in der digitalen Welt zu verzahnen.
Dies ist jedoch nichts Neues, vielmehr hat sich die Dramatik dahingehend drastisch geändert.